Agnostiker auf Suche

[Riva]

Hallo liebe Foren-Mitglieder,

ich habe mich heute hier angemeldet, um mehr über die Orthodoxie zu erfahren.

Zu meiner Person: Ich bin 36 Jahre alt, männlich und bin in einer atheistischen bis religionsfeindlichen Familie aufgewachsen.

Ich habe mich davon schon in jüngerem Alter gelöst. Ich konnte nie akzeptieren, dass die Menschen unserer Zeit Moral als etwas Relatives sehen. Eine Erkenntnis, die lange Zeit für sich alleine stand, denn die Menschen scheinen dies immer weniger zu verstehen.

In jugendlicher Arroganz, wie es oft so ist, schien es meine persönliche Erkenntnis zu sein, bis ich erwachsen wurde.

Nicht nur habe ich durch meine Erlebnisse im Erwachsenenleben verstehen müssen, dass ich damit sicherlich nicht alleine bin – auch wenn Glaube und Religion auf dem Rückzug zu sein scheinen – aber vor allem habe ich für mich verstanden, dass der Glaube an die Wahrheit und das Gute der Moral erst im metaphysischen Bereich stattfindet, das heißt außerhalb der Ebene des Menschseins.

Wenn Wahrheit existiert, existiert auch Gott, und so mag ich sagen, ich habe zu Gott gefunden.

Zu diesem Zeitpunkt ist das mein persönlicher Glaube. Ich bin konfessionslos, und während ich, ungetauft wie ich bin, die guten Dinge schätze, die die katholische und evangelische Kirche dort, wo ich wohne, leisten und die Arbeit der Glaubensgemeinde respektiere, sehe und höre ich viel im Rahmen von Diskussionen über den Glauben, das sich in meinen Augen gegen das große Buch richtet. Ich erwartete das von den Evangelikalen, aber auch im Bereich der Katholiken empfinde ich es teilweise als sehr abweichend von den heiligen Schriften.

Und so bin ich in einem eigenartigen Raum: Ich kenne keine christlichen Bräuche, ich bin kein Teil einer Glaubensgemeinschaft, ich empfinde den Wunsch, die Wahrheit zu suchen, und kann mich nicht mit den Glaubensgemeinschaften identifizieren, die es in meiner Nähe gibt. Vor allem scheint sich die katholische Kirche massiv von ihren Traditionen abzuwenden.

Daher, um diesen langen Eingangstext abzuschließen:

Ich suche Antworten. Ich weiß kaum etwas über die orthodoxe Kirche. Was ist der Unterschied zwischen der West- und Ostkirche? Warum gibt es Unterschiede zwischen den Nationen? Inwiefern unterscheidet sich der Katholizismus von der Orthodoxie? Speziell: Gibt es Teile der Bibel, die von der Orthodoxie nicht anerkannt, entfernt oder hinzugefügt wurden? Es gibt keine orthodoxe Gemeinschaft in meiner Nähe (laut eurer Karte), aber ich würde mich gerne einmal mit jemandem darüber unterhalten.

Ich ziehe hier ein bisschen blank, das weiß ich, aber ich fühle mich ein wenig wie auf verlorenem Posten in meinem Leben ohne Gemeinschaft im Glauben.

[Alois]

Hallo Riva,

willkommen im Forum. Schön, dass Du Dich durch persönliche Erfahrungen und Überlegungen dem christlichen Glauben zugewandt hast.

Der orthodoxe Glaube ist ein Glaube, der von der Erfahrung lebt. Das Gebet, die Feier der Göttlichen Liturgie und anderen Gottesdienste sind, wenn Du die Orthodoxie nicht nur theoretisch kennen lernen bzw. Dich nur über sie informieren möchtest als Orte konkreter Gottesbegegnung und -erfahrung unverzichtbar. Denn das macht ja den orthodoxen Glauben aus, dass die Gottesverehrung im Zentrum steht.

Wenn Du keine Gemeinde in Deiner Nähe hast, wäre es sicherlich von großem Vorteil einmal ein paar Tage als Pilger in ein orthodoxes Kloster zu gehen und dort am Leben teilzunehmen. Da ist auch ein Ort, wo es Gesprächspartner(-innen) gibt, die Dir mit Dir über den Glauben und Deinen persönlichen Zugang zum Glauben sprechen und viele Fragen beantworten können.
(Ein Nachteil dabei, das will ich nicht verschweigen, könnte vielleicht sein, dass der klösterliche Alltag auf jemandem, für den alles noch neu und ungewohnt ist, auch erst einmal "erschlagend" wirken kann.)

Was den eher informativen-intellektuellen Zugang zur Orthodoxie betrifft, so kann man neben den Themen und Beiträgen hier im Forum, vieles Interessantes auf dem Youtube-Kanal von OrthMedien finden: www.youtube.com/@OrthMedien
Vor allem die kurzen Videos von Vater Alexej sind sehr zu empfehlen.

Es gibt aber auch eine kleine Filmreihe von 10 Filmen (je ca. 26 Minuten) in russischer Sprache mit deutschen Untertiteln, die einen guten Überblick über alle wesentlichen Themen der Orthodoxie gibt.

Informieren kann man sich natürlich auch über gute Bücher. Zu empfehlen wären für den Anfang die folgenden:

- Alexej Osipov, Auf dem Weg zu Gott. (ca. 130 Seiten)
Ausgehend von der Frage nach dem Sinn des Lebens versucht der russische Theologe aus der orthodoxen Tradition, aber auch unter Berücksichtigung philosophischer und atheistischer Quellen, einen Zugang zum Christentum zu schaffen.

- Metropolit Hilarion (Alfeyev), Katechismus. Kleine Wegbegleitung im orthodoxen Glauben. (ca. 180 Seiten)
Das Buch ist aus Unterweisungen für Taufbewerber/-innen entstanden. Es setzt also kein Vorwissen voraus. In seinen 3 Teilen behandelt es die wichtigsten Glaubenslehren, Fragen der christlichen Lebensführung und Fragen rund um Kirche und Gottesdienst.
(Von Metropolit Hilarion ist auch die oben erwähnte 10-teilige Filmreihe.)

Umfangreicher und leichter besser mit etwas christlich-orthodoxem Grundwissen zu lesen ist:

- Sergius Heitz und Susanne Hausammann, Christus in Euch: Hoffnung auf Herrlichkeit. (ca. 300 Seiten)
Das Buch wendet sich besonders an eine deutschsprachige/westliche Leserschaft und möchte ihnen den orthodoxen Glauben aufgrund des Glaubensbekenntnis von Konstantinopel von 381, das bis heute das in der Liturgie und den Gottesdiensten gebräuchliche Glaubensbekenntnis ist, näher bringen. Es enthält viele Bezüge zur Kirchen- und Dogmengeschichte und ist daher eher nicht ein Einstiegswerk in die Orthodoxie bzw. in den christlichen Glauben generell.

Wichtig neben aller Information über den Glauben und über Gott, ist aber vor allem das Gespräch mit Gott. Auch wenn Du momentan erst einmal nicht die Liturgie in einer Gemeinde besuchen kannst, fange an zu beten, suche das Gespräch mit Gott.
Zum orthodoxen Glauben gehört - verkürzt ausgedrückt - auch, dass man das eigene Gebet durch die Worte der Väter und die Tradition der Kirche schult, damit man nicht nur die eigenen Wünsche und Gedanken vor Gott bringt - und letztlich bei sich selbst stehen bleibt.

Für den Anfang kann man sich z.B. gut hier orientieren: www.gebetsbuch.online
Besonders die kurzen Gebeten im Tageslauf am Morgen und am Abend und die Grundgebete könnten erst einmal einen ersten Einstieg ins Gebet bilden. (Es gilt: Besser regelmäßig und kurz - als lange und sich selbst überfordernd!)

Vielleicht soweit erst einmal ein paar - nun doch eher lang gewordene - Hinweise für einen ersten Zugang zur Orthodoxie.

Alles Gute und Gottes Segen!

[Riva]

Hallo Alois, wie sagt Ihr so schön möge Gott dich segnen.

Ich hoffe das ist nicht respektlos von einer ungetauften Person.

Erst einmal möchte ich dir für deine ausführliche Antwort danken, sie hat sicher Zeit gekostet und sie beinhaltet viele Interessante Antworten mit denen ich mich erst einmal beschäftigen möchte.

Deine idee ein orthodoxes Kloster zu besuchen ist eine Wundervolle Idee, ich denke, wenn ich mir darin sicher bin den Schritt vollends zu gehen wäre das ein wirklich interessanter Ansatz. Es kam mir gar nicht in den Sinn das dies möglich ist.

Auch dir erst einmal alles Gute und Gottes Segen

[Ambrosius]

Hallo Riva
Du hast schon gute Buchempfehlungen erhalten aber noch einige Empfehlungen von mir .
Vorab -wenn Du grob (musst ja keine Adresse schreiben ) sagen könntest in welcher Region du zu Hause bist könnte dir jemand vielleicht einen konkreten Tip geben.

Einige Gedanken von mir (einem jahrelangen Katholiken der auch mal mit Freikirchen geliebäugelt hat) und Orthodox geworden ist.
Ich wollte auch immer die konkreten Unterschiede zwischen Katholiken und Orthodoxen wissen, habe dann auf Empfehlung Bücher über die Orthodoxie gelesen mit dem Ergebnis : Und, Wo ist jetzt der konkrete Unterschied? Klingt doch fast gleich wie bei uns Katholiken?

Deswegen eine Buchempfehlung:
https://www.edition-hagia-sophia.de/p/p ... orthodoxie
Kurz/knackig/ die wesentlichen Unterschiede/ verständlich auch ohne Theologiestudium.

Vielleicht hilfreich auch beim Verständnis warum es zur Kirchenspaltung gekommen ist:
https://www.edition-hagia-sophia.de/p/p ... e-christen

Ähnliches Topic, geschrieben aus katholischer Sicht (aber erklärt vieles das für mich für die Orthodoxie spricht)
https://eos-verlag.de/zurueck-zum-gemeinsamen-erbe/

p.s.
wie gut ist dein englisch?
bei youtube gibt es relativ viele gute Beiträge über die Orthodoxie, aber englisch

[LukasH]

Zum Thema „Unterschiede zwischen Orthodox und xy“ möchte ich auf einen älteren Strang hinweisen, in dem ich, vor dem gleichen Problem stehend auf einen ganz zentralen Gedanken gestoßen wurde. http://orthodoxes-forum.de/viewtopic.ph ... 330#p39459
Herzlich,
Lukas

[Riva]

Hallo ihr beiden, danke füe die Antworten.

Ich wohne in RLP, die nächste Gemeinde nach der Karte wäre in Siegen und das wäre schon noch immer ein ganzes stück vor allem als Vater mit Kindern auf "suche"

Englisch ist bei mir kein Problem, ich lese Wissenschaftliche Texte dort ohne weiteres andere Sprachen dann eher, was im Kontext der Orthodoxie ja eher das "Problem" scheint.

Ich werde noch die Zeit finden müssen mich mit den ganzen Materialien auseinander zu setzen aber ich habe da ja sichtlich einiges zu tun.


Grüße
Riva