Ich stimme zu, lieber Igor, ein guter Artikel. Doch allem zustimmen kann ich nicht. Vor allem der Definition:
Wenn ich versuchen sollte, das Phänomen zu definieren, würde ich sagen: Es geht um das Sich-beziehen eines Menschen auf vertraute Ausdrucks- und Gestal tungsformen des gesellschaftlichen Lebens. Patriotismus meint also das Verbundensein mit einer größeren mensch lichen Gemeinschaft; die Bindung an vertraute Formen des sozialen Lebens, an die Kultur eines Landes in Literatur, Musik, darstellender Kunst und Bauwesen ebenso wie den Bezug auf die Politik und ihre Traditionen, auf das Sich-bewegen einer Nation im Reigen der anderen Völker- auch auf den Umgang mit internen Konflikten und die aus all dem resultierenden Prägungen, auf die Wissenschaft und die Religion; neuerdings wird man vielleicht auch den Sport als Bezugsgröße dazurechnen müssen.
Bei dieser Definition geht es um den Menschen, und nicht um das Vaterland.
Lazzaro hat geschrieben:Vater Alexeij hat geschrieben:
Mit anderen Worten - wenn es im Neuen Tesament eine unterscheindung zwischen Frauen und Männern gibt, dann gibt es auch eine Unterscheidung von Völkern. In den Apostelbriefen wird viel darüber geschrieben, dass die Nationalität keien Rolle mehr spielt. Die Feststellungen beziehen sich aber alle samt auf die geistliche Demension. Die Apostel schreiben an Gemeinden, deren Grundlage die Juden bildeten, für die das Prinzip der nationalen Zugehörigkeit von soteriologischer Bedeutung war. Das mussten die Apostel verneinen.
Punkt. Ende.
Das sagt die Heilige Schrift: Im Heilskontext sind Nationalität und Heimatort völlig irrelevant, damit auch jede Form von Patriotismus. Da er also im christlichen Kontext nicht vorkommt, hat sich der sogenannte "christliche Patriotismus" nun doch entgültig als Phantom erwiesen.
Da würde ich den Punkt nicht setzen, denn das wäre inkonsequent. Ja, der Patriotismus ist im Heilskontext irrelevant - absolut richtig. ABER - es geht in der Orthodoxie nicht nur um heilsnotwendige Dinge. Oder zumindest nicht in der engen Art, wie es ein Protestant verstehen würde. Einige Beispiele. Ist Familie Heilsnotwendig? Nein. Ist es Heilsnotwendig, ein guter Vater oder ein guter Sohn zu sein? Etwa auch nicht? Den Nächsten zu lieben? Dankbar zu sein? Heils
notwednig ist strenggenommen nur unsere Beziehung zu Gott. Für die Errettung reicht es, wenn ich als Einsiedler in den Bergen lebe und bete. Und trotzdem ist nächstenliebe eine christliche Tugend. Tortzdem gab es die Bergpredigt. Und auch im Evangelium geht es nicht nur um das Heilsnotwendige, nicht nur um das Theologische, sondern auch um das Moralische! Das wird leider sehr oft vergessen. Oft kennt sich ein Mensch mit der Theologie super aus, kann alle Verfehlungen von Heterodoxen erklären, aber spricht nicht über die Moral. Vielleicht ist hier ein Einfluss des Protestansismus zu spühren, bei dem Moral de facto nicht notwendig ist.
Selbstverständlich vertrete ich nicht den Phyletismus. Natürlich ist jeder Mensch vor Gott gleich, und beim Jüngsten Gericht werden alle gleich gerichtet werden - Deutsche, Serben, Chinesen. Auch wird ein Mann keinen Vorteil vor einer Frau haben, und ein Vater nicht vor seinem Sohn. ABER - Moral ist für uns nicht weniger wichtig, als die Theologie. Denn nur wenn sich ein Mensch verändert, wenn er in seiner Seele, in seinem moralischen Benehmen benehmen besser wird, hat ein Mensch eine Chance auf die Errettung. Mann kann nicht Gott lieben und seinen Nächsten nicht lieben - das lesen wir in der Heiligen Schrift. Auch lesen wir, dass der Glaube ohne die Taten tot ist.
Die Frage die sich also stellt ist nicht, ob der Patriotismus im engeren Sinne eine soteriologische Bedeutung hat. Sondern - ob er gut ist, demnach eine Tugend darstellt.
Ich hoffe, es werden mir alle zustimmen, dass Vater und Mutter zu ehren und zu lieben eine christliche Tugend ist. Ebenfalls ist es eine Tugend die eigene Frau und die eigenen Kinder zu lieben. Dankbarkeit - ist auch eine Tugend. Sage nicht ich, sagt uns Christus, als zu ihm die zehn Leprakranken kommen. Der oft atheistischen Obrigkeit zu gehörchen - auch tugenhaft! Alles nicht Heilsnotwendig, aber doch förderlich für unsere Errettung. Ich habe vor kurzem in meiner Bibliothek nach dem Stichwort Patriotismus gesucht und nur wenig gefunden. Gestern habe ich aber die Bücher auf der Seite des fünften Gebots aufgeschlagen, und siehe da - die zwölf Heiligen, von denen du, lieber Benedickt, gesprochen hast!
Es ist selbsverständlich, dass ich als Christ meine Familie mehr liebe und beschütze, als jemanden anders. Wenn ein Räuber in euer Haus kommt und eure Mutter oder eure Frau bedroht, ist er eure Pflicht, diese zu beschützen! Wenn ihr in einer Situation seid, in der ihr von zwei nur einen Menschen retter könnt, eure Tochter oder jemanden anderes, für wehn entscheidet ihr euch? Und wer sich in dieser Situation für jemanden anders entscheidet, als für sein Kind, der weiß einfach nicht, was Familie und Liebe ist.
Die Grundlagen des Patriotismus in unserer Kirche bilden also das Fünfte Gebot, sowie die Tugenden der Nächstenliebe und der Dankbarkeit. Es ist meine Pflicht meine Eltern, meine Großeltern, und alle meine Ahnen zu ehren, denn ohne Sie würde es mich garnicht geben. Es ist meine Pflicht, meine Nachbarn, die Bewohner meiner Stadt und meines Landes zu ehren und zu lieben, denn sie sind meine große Familie. Es ist auch meine Pflicht mein Volk zu ehren, denn meine Großväter und Vorfahren haben über Tausend Jahre lang dazu beigetragen, dass es mich gibt, dass ich eine Identität und eine Kultur habe und dass ich ein Christ bin. Millionen meiner Vorfahren haben ihr Leben für ihr Land geopfert, damit es nicht von Tataren, Mongolen und wehm auch immer versklaft und überrollt wird, damit es christlich und orthodox bleibt. Uns es ist die christliche Pflicht eines jeden Menschen dafür seinen Vorfahren für alle diese Dinge dankbar zu sein.
Und es ist auch eine christliche Tugend für sein Vaterland zu sterben. Ja, natürlich für die Menschen, die in diesem Vaterland lebten und leben. "Größere Liebe hat niemand, als diese, daß jemand sein Leben läßt für seine
Freunde." (Joh. 15, 13) Interessant, dass hier wieder nicht steht - für irgend jemanden, sondern für seine Freunde.
Lieber Benedikt, du fragst:
Benedikt hat geschrieben:Wenn ich mein Vaterland liebe, dann muss ich mich fragen lassen, warum ich meine Liebe gewichte (ist das Christlich?).
Meine Antwort - ja, das ist christlich. Zu sagen, ich liebe alle, bedeutet zu sagen - ich liebe niemanden. Und Christus hat eben nicht generalisiert, nicht gesagt - "Liebe jeden Menschen auf der Welt". Nein, er hat gesagt: «Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst!» Liebe ist nämlich nichts abstracktes, sondern etwas konkretes, etwas auf eine bestimmte Person oder bestimmte Personen bezogene. Niemand von uns kann den Chinesen Liu Tao lieben oder irgendwelche anderen Gefühle zu ihm haben, weil wir ihn nicht kennen. Wir können einander lieben, weil wir uns kennen, wie lieben unsere Familien und Freunde mehr, weil wir sie besser kennen und zu ihnen ein besonderes Verhältnis haben. Wir können auch unser Volk und unser Land lieben, weil wir diesem verbunden sind, weil wir ihre Eigenarten und Besonderheiten kennen, und auch die Menschen, die sie beheimaten, denn wir haben zu ihnen einen Bezug. "Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn!" (Joh 19, 26). Obwohl Gott uns alle liebt, hebt das Evangelium hervor "den Jünger, den er liebte". Wie kann das sein? Also ist selbst die Liebe Gottes nicht zu allen gleich. Aber je größer die Gruppe wird, je weniger unsere Beziehung zu einer Gruppe ist, desto abstakter wird auch das Verhältnis.
Es gibt in unserer Gesellschaft (auch in Russland) eine geistliche Krankheit, diese Abstraktion. Die Menschen gehen an Armen Bettlern vorbei, ohne hinzuschauen. In die eigene Gemeinde oder in Weißenhäuser spendet man zwei Euro. Aber - riesige Summen werden aufgebracht, wenn irgendwo in der Welt ein Mensch Hilfe braucht. Und das ist nichts gutes, denn es zeigt, dass die Menschen sich vor ihren Nächsten flüchten, an ihnen vorbeigehen. Und um diesem Deffizit zu entgehen, wendet man sich mit seiner Hilfe, mit seinem Mitgefühl an die Übersee, zu jemandem, zu dem man keinerlei Beziehung oder Bindung aufbauen kann.
Du stellst die Problematik auf, auf wehn man seinen Patriotismus beziehen soll. Hier gibt es mehrere Aspekte. Der Erste - der Nationale. In der Katechese sind mir oft Menschen begegnet, die ein schlechtes Verhältnis zu ihren Eltern hatten. Ich habe immer gesagt - egal, wer eure Eltern sind und wie sie mit euch imgegangen sind, ihr müsst sie ehren und idealerweiße lieben, weil es euch ohne diese Eltern garnicht geben würde. Deshalb denke ich, dass wir auch unsere Vorfahren in Form von unserem Volk auf diese Weiße ehren sollten.
Der Zweite - das Land. Für mich als einem Menschen aus Russland stellen sich viele deiner Fragen garnicht. Es gab in Russland nie einen Nationalismus. Seit jeher besteht dieses Land aus duzenden von Völkern. Alle diese Völker bilden Russland, alle haben es gemeinsam im Krieg verteidigt, aufgebaut und zu seiner Kultur beidgetragen. Meine Frau ist von der Nationaliät her eine Mari, es gibt auch andere Nationalitäten, wie z.B. die Kasachen, die alle in Russland leben und Russland als ihr Vater und Heimatland ansehen, ohne einem Hauch von Nationalismus.
Der Dritte - das Land, in dem man als Migrant oder Gast lebt. Auf der einen Seite kann ich als Migrant über Deutschland nicht als über mein Vaterland sprechen (auch wenn ich einen Deutschen Pass habe). Vielleicht werden es meine Kinder oder Enkel so machen (wie auch viele Russlanddeutsche heute viel mehr Russland, als ihrem Ursprungsland verbunden sind). ABER - es ist meine Heimat, mein Zuhause. Und natürlich liebe ich mein Zuhause, bin diesem über vieles Dankbar, stehe in dessen Schuld und würde es beschützen.
Du schreibst über Probleme in den Familien und in der Gesellschaft. Nun, die meisten Menschen gehen auch nicht in die Kirche, das ist doch aber für uns kein Grund, auch nicht in die Kirche zu gehen? Diese Probleme waren überhaupt der Grund, warum ich angefangen habe, mir Gedanken zu diesem Thema zu machen. Die Menschen in unserer Zeit sind ihrem Land nicht verbunden, genausowenig ihren Familien, ihrer Kirche, ihren Nächsten. Es geht immer nur um das Ego. Der heutige Mensch würde nich in den Krieg ziehen, um seine Mitmenschen zu beschützen - so ein Gefühl gibt es garnicht. Höchstens für den Schutz von seinem Lebensstandart.
Lieber Benedikt, ich hoffe, du hast gemerkt, dass ich eben nicht von einer "personalisierte Vaterlandsliebe" rede, "die Bier besser als Wein oder Sangria findet". Und dass ich verstehe, dass obwohl unser Herr selbst "zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mat. 15, 24) gekommen ist, sich das Missionsgebot auf die ganze Welt bezieht. Doch gibt es in meiner Antwort viele ABERs, denn man muss zwischen vielen Digen genau unterscheiden. Du willst nichts von einer "Unterscheidung von Patriotismus (lieb) und Nationalismus (bös)" hören, aber wahrscheinlich ist dieser Unwill zu unterscheiden auch der Grund, warum du so eine kategorische Einstellung zu diesem Thema hast.
Ich habe mir bei meiner Antwort die Mühe gegeben, möglich auf alle eure Argumente einzugehen. Ich hoffe, dass ihr das bei euren Antworten auch tut und meinen Beitrag nicht auf 2-3 Thesen reduziert.
IC, D. Alexej