Lazzaro hat geschrieben:Lieber Frater Leo!
Willkommen im Forum.
Punkt 1: Ich halte eine Orthodoxie im röm. Ritus theoretisch durchaus für
möglich, habe aber Zweifel, ob sie praktisch
sinnvoll ist.
Punkt 2: Ich habe zu Hause auch das alte benediktinische Stundenlob und benutze es auch zuweilen. Meine eigene Gebetsregel basiert in Teilen auf diesen Fundament.
Wo drückt der Schuh? Ein paar lose Gedanken.
- Im tridentinischen Ritus ist die Stille Messe die Norm, orthodox geht das gar nicht. Eine ortodoxe Liturgie, römisch oder griechisch muß Dialogisch aufgebaut und gesungen sein, das wird im trid.-röm. Ritus nur im Hochamt gemacht.
- Grundsätzlich fehlt so etwas wie ein gemeinsamer optischer "Stallgruch". Man müßte den röm. Ritus wieder an die gemeinsame Tradition angleichen. Minnimum ist ein freistehender Altar und hohe Chorschranken und auch Ziborium mit Vorhang, wie in Sta. Maria in Cosmedin zu Rom oder in Torcello.
https://commons.wikimedia.org/wiki/Cate ... stasis.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Santa_Mar ... icht_2.jpg
- Theologisch schwierig finde ich, das im röm Canon missae nicht mehr die alte Reihenfolge von Anamnese, Einsetzungsbericht, Epiklese und Diptichen vorhanden ist. Susanne Hausamman hat geschrieben, warum das wichtig ist, ich habe aber keine Zeit das rauszusuchen und nachzuarbeiten.
- Grundsätzlich braucht der christliche Westen dringend die griechische (und aramäische) Kirche als Korrektiv. Die lateinische Theologie ist meiner Meinung nach viel zu sehr von Tertullian und Augustinus geprägt, und hat da bis heute eine Schlagseite. Seit dem Konzil von Aachen (809) ist der theolg. Austausch praktisch zum Erliegen gekommen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich befürchte daß, wenn jemand im trident. Ritus verbleiben will, die griechische Theologie ihn nicht richtig durchdringen kann.
- Eine genuin römisch-orth. Liturgie wäre der alte Ritus aus dem karolinischen St. Gallen. Die Bücher sind da. Ihn aber zu revitalisieren ist aus pastoraler Sicht -mit Verlaub- Quatsch.
- Es fehlt eine größere Anzahl von Gläubigen, weshalb die Gefahr besteht , daß ein röm-orth. Gottesdienst religiös seltsame Personen anzieht.
- Es ist einfach religiös gesünder, sich einer funktionierenden byzantinischen Gemeinde anzuschließen, als zu zweit oder dritt eine römische Minnikirche aus einer abgerissenen Tradition zu Erschaffen.
- Die abgerissene lat.-orthodoxe Tradition ist eh das Hauptargument. Sie ist einfach nicht mehr lebendig. Alle Neuanfänge leben oder vegitieren mit eben diesem Makel.
Lazarus, gleichermaßen griechisch orthodox und öffentlich bekennender Lateiner
Ps: Exsurge Domine, geh und suche eine orthodoxe Gemeinde auf, statt über die Unterschiede zu Hause nachzugrübeln.
Lieber Lazzaro,
herzlichen Dank für den Willkommensgruß!
Mir fällt es nicht leicht, deine Ausführungen unter einen Hut zu bekommen: einerseits qualifizierst du das Unterfangen des Orthodoxen Westritus für sinnlos, andererseits trittst du selbst den Beweis an, daß die westliche Tradition - in welchem Maß auch immer - durchaus sinnvoll sein kann, da das benediktinische Brevier Teil deiner Gebetsregel ist.
Zum Hauptargument der "abgerissenen Tradition": Die Tradition, die
lex orandi der (orthodoxen) römischen Kirche, wurde auch während des (noch andauernden) Schismas weiter tradiert (bis diese im 20. Jh. von der "RKK" weitestgehend aufgegeben wurde). Wenn nun diese Heterodoxen in die Kirche zurückfinden und die Hirten es für recht erachten, sie mitsam ihrem liturgischen Erbe die Schwellen der Kirche passieren zu lassen, so ist dies etwas anderes als einen historischen Zustand (sagen wir die Liturgie der Westkirche um dasJahr 1054) zu rekonstruieren. Vielmehr verhält es sich so, daß dieses spezifische liturgische, theologische und kulturelle Erbe durch die Maschen des Dogmas gesiebt wird: Was mit dem Dogma unvereinbar ist, ist auszusieben. Grundregel: Sowenig Änderungen, wie möglich, keine Ritenvermischung (wobei klar ist, daß keine Personen verehrt werden können, so heilig wie ihr Lebenswandel auch war, wenn sie während ihrer Peregrinatio auf Erden nicht in der vollen Gemeinschaft mit der Kirche standen, sprich keine Verehrung "postschismatischer Heiliger").
Andere gehen weiter und sagen: Auch was mit den Kanones und der östlichen Tradition unvereinbar ist bzw. scheint, ist auszusieben. Dann würde aber dermaßen fundamental in den überlieferten römischen Ritus eingegriffen, daß er vollends delegitimiert wäre.
Und das läßt sich bereits
in nuce am Beispiel des Canons, der weströmischen Anaphora, zeigen:
Hält man ihn für defizient und verbesserungswürdig, stellt man sich nicht nur insoweit auf eine fragwürdige Position, da in den Kontroversen in den Jahrhunderten vor und nach 1054 alles mögliche diskutiert und in Abrede gestellt wurde, aber nie der Canon an sich. Wenn er keine Anaphora wäre, der gleiches Existenzrecht wie ihre östlichen Gegenstücke und vor allem die gleiche Wirkung zukommt, dann wären die östlichen Kirchen über Jahrhunderte - ohne jegliche Beanstandung ihrerseits - mit einer Nicht-Kirche in Gemeinschaft gewesen, denn Kirche ist nur dort, wo eine stiftungsgemäße Eucharistie dargebracht und gereicht wird.
Es ist ein durch und durch modernes Phänomen in die Ferne zu schweifen und das Exotische schöner zu finden als das eigene. Die Basilius-Anaphora: was für eine Gesamtschau, was für eine harmonische (und trinitarisch-ökonomische) Abfolge, welche wunderschöne Passagen in der Jakobusanaphora - Keine Frage!
Will man liturgiewissenschaftlich argumentieren, so ist unbestreitbar, daß es zwei unterschiedliche Traditionen gibt: die antiochenische und die alexandrinisch-römische. In dieser ist der Einsetzungsbericht in den epikletischen Teil integriert, in jener in den anamnetischen.
Das hohe Alter der Markusliturgie und der römischen wird auch durch jüngere Funde, wie die Straßburg und Barcelona Fragmente gestützt. Und es ist gerade der für uns heutige (und schon für Luther) befremdliche Eindruck des "Nicht-voll-durchkomponierten" der einen Hinweis auf das hohe Alter gibt, ebenso die Abwesenheit einer expliziten Bitte um Sendung des Hl. Geistes zur Verwandlung der Gaben.
Aber aus diesem gefühlten oder eingebildeten Mangel heraus, Hand an den Text zu legen, der seit Gregor dem Großen nahezu einheitlich und unverändert über ganz Westeuropa hinweg 1400 Jahre überliefert wurde, ist schlichtweg Hybris. Statt mit einer Frau Hausamann halte ich es da lieber mit dem hl. Nikolaus Kabasilas, der dem römischen Canon seine Konformität mit den Grundsätzen der Orthodoxie bestätigt.
Das Problem liegt auf einer anderen Ebene als der des Textes: seit dem der Westen sich aus dem Gesamtzusammenhang der Theologie gelöst und im Zeitalter der sich ausbildenden Scholastik neue Wege beschritten hat, finden die Resultate dieser neuen theologischen Methode auch im Ritual der Elevation unmittelbar nach dem Brot- und Kelchwort ihren Niederschlag. Die Festlegung auf einen Konsekrationsmoment bei den nun Wandlungsworte genannten Herrenworten, wird dem Canon gemäß der altkirchlichen Hermeneutik und den Ausführungen des hl. Nikolaus Kabasilas nicht gerecht (Engel übertragen nicht den Herrenleib, weder in die eine noch in die andere Richtung, wohl aber überbringen sie unsere Gebete und eben
haec, was nebenbei ein völlig unpassender Ausdruck wäre, wenn das "Brot des Lebens" und der "Kelch des Heiles" (Epitheta) bereits verwandelt wären). Die Konsekration geschieht am himmlischen Altar, von dem auch die Gläubigen empfangen. Brot und Wein und mit und durch sie auch die ganze darbringende Gemeinde wird in die himmlische Liturgie mithineingenommen. Mithin ist die Konsekration erst mit der Strophe "Supplices te rogamus" als abgeschlossen zu betrachten (nun auch im Text expressis verbis als Corpus et Sanguis Domini bezeichnet), woraus folgt, daß sowohl Elevation als auch anbetende Genuflexion beim Einsetzungsbericht verfrüht ist, m.a.W. das Problem liegt nicht beim Text, sondern bei den Rubriken.
Man kann diese altertümliche Form der Epiklese auch als
anabatisch (aufsteigend) bezeichnen; - im Gegensatz zu den
katabatischen (herabsteigenden) Epiklesen der östlichen Anaphoren. Sie bezwecken letztlich alle dasselbe, bringen es nur anders zum Ausdruck.
Daß dies alles mit, im und durch den Hl. Geist geschieht, läßt die Wendung
in unitate (in Einheit) in der Doxologie erkennen. Hier war zurecht auch nach den älteren römischen Ordines der Zeitpunkt der Elevation.
Ich wünsche einen gesegneten Sonntag,
Fr. Leo
P.S. Was genau meinst du mit St. Gallener Meßordo?
P.P.S. Wie weit darf den der Altar an die Ostwand gerückt werden, um noch als freistehend zu gelten? Und warum scheint dir das so unabdingbar?
P.P.P.S. Die Lesungen der zweiten Nokturn heutigen Sonntagsvigil sind vom hl. Basilius dem Großen (Homilia I über das Fasten, Nr. 5-6 - im "rk" Brevier ab 1955 übrigens gestrichen), die der dritten vom hl. Augustinus. Es ist ja nicht so, daß die griechischsprachigen Theologen nicht zu Gehör kämen, aber wie verhält sich das umgekehrt?