Viele fragen, aber keine Antworten

Neu in der orthodoxen Kirche - Wie lebe ich als orthodoxer Christ? Alle allgemeinen Fragen rund um die Orthodoxie.
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Balthasar
Beiträge: 56
Registriert: 06.08.2011, 08:44
Religionszugehörigkeit: Evangelisch

Viele fragen, aber keine Antworten

Beitrag von Balthasar »

Hallo,

ich lese zurzeit die Bibel und möchte auch in den orthodoxen Glauben wechseln. ich bin Protestant.

nun habe ich auf der Arbeit einen Kollegen, mit dem ich des öfteren über Glaubensfragen spreche, er ist Moslem diskutiert. Dabei achten wir auf gegenseitigen Respekt und Sachlichkeit über die Inhalte unserer Glaubensansichten. Hierbei hat er mir allerdings Fragen bzw. Widersprüche in der Bibel gezeigt, welche mich doch sehr verblüfften und auf die ich Ihm keine Richtige Antwort geben konnte.

Ich hoffe, dass Sie mir helfen können, da es meinen Glauben zu Gott und Jesus Christus betrifft, und ich leider keine Schlüssige Erklärung in den heiligen Schriften finden konnte :book:

1.Im neuen Testament gibt es die Situation wo der Teufel Jesus in der Wüste mehrmals versucht indem er Ihm alle reiche der Welt zu füssen legen würde, wenn Jesus Ihn anstelle von Gott anbete. Darauf hin verjagt Jesus den Satan. An einer anderen Stelle sagt der Teufel zu Jesus er soll Stein in Brot mithilfe der Gottesmacht verwandeln um zu essen, Jesus tut dies aber nicht..

Wenn Jesus Christus Gott ist, wie kann der Teufel dann Gott versuchen? Das erscheint mir nicht schlüssig, da Gott selber den Teufel erschaffen hat, und zudem allwissend ist. Wenn Jesus Christus auch Gott ist, dann kann Ihn der Teufel doch nicht versuchen, aber der Teufel müsste dies doch wissen.

2. An einer anderen Stelle in der Bibel wird Jesus Christus gefragt ob er den Tag des jüngsten Gerichts weiss. Daraufhin antwortet er, dass er es nicht weiss, und nur Gott wisse wann dieser Tag kommt? Sie ahnen schon meine Frage oder :roll:
Wenn Jesus Gott ist, dann muss er es doch wissen, aber er sagt selber das er keine Ahnung hat, und nur Gott selber dies wisse. Wie kann das sein wenn er doch Gott ist?

3. Wie läuft die Anrufung der Heiligen in einem Gebet ab? Ich wurde aufgrund meiner Absicht in die Orthodoxie zu wechseln von einem anderen Freund welcher evangelikaler Christ ist ermahnt, dass die Anrufung von Heiligen oder sich Bilder davon zu machen und diese als Anbetung zu Gott zu benutzen gege die Gesetze Gottes verstossen. Gibt es stellen in der Bibel in der die Mittlerschaft von den Aposten und heiligen gefordert wird? Jesus ist doch unser Mittler?

Entschuldigen Sie meine vielen Fragen, aber ich befinde mich da im Moment in einer kleinen Krise, da ich Angst habe unwissendlich gegen die Gebote meines Herrn zu verstossen, und das ist es wovor ich mich am meisten fürchte. Deshalb kann ich zu all diesen Fragen keine Lücken lassen.

Gib es zudem lehrbücher bzw. eine Bibel für Orthodoxe Christenß Ich lese im moment die Lutherbibel.

Und wie spreche ich einen Orthodoxen priester an, ich weiss nicht wie ich Sie ansprechen soll, :oops:

Vielen Dank für Ihre Hilfe,

Balthasar
Pr. Vladimir
Priester
Beiträge: 7
Registriert: 23.08.2012, 23:01
Religionszugehörigkeit: russisch-orthodox

Re: Viele fragen, und jetzt auch Antworten!

Beitrag von Pr. Vladimir »

Friede Dir, lieber Balthasar!

Die Heilige Schrift ist wahrlich ein Buch, das sehr tiefgründig ist und nicht selten den Leser herausfordert. Es ist sozusagen das Buch „hinter den sieben Siegeln“, man bedarf eines „Schlüssels“, mit dem man an die Lektüre der Hl. Schrift herangeht. Der Schlüssel ist zum einen die Gottesgnade, die den Gläubigen in Seiner Kirche reichlich gegeben wird, und zum anderen die Anleitung durch die Kirche. Die Heilige Schrift, das Neue Testament ist in der Kirche entstanden und wird auch von der Kirche ausgelegt und gedeutet. Konkret bedeutet dies, dass wir uns bei der Auslegung in erster Linie an den Heiligen Vätern und Lehrern unserer Kirche orientieren.

Nun zu Ihren Fragen.

1. Die Versuchungen Jesu sind ein umfassendes und interessantes Thema, ich möchte es nur kurz anschneiden. Unser Herr und Erretter Jesus Christus, Sohn Gottes ist wahrhaftig Mensch geworden, um den Menschen, d.h. die ganze Menschheit, zu retten und sie zum Heile zu führen. Auf diesem Glauben steht unsere Kirche und von diesem Glauben ausgehend wird die Hl. Schirft gedeutet. Schon der Hl. Irenäus von Lyon (†202) schrieb: „Durch Seine unermessliche Gnade wurde Gott zu dem, was wir sind, damit wir zu dem werden, was Er ist“. Darin liegt die Antwort auf Ihre Frage. Der unsterbliche und ewige Gott wird Mensch, er „zieht die Menschliche Natur an“ und zwar in dem Zustand, in dem sich der Mensch nach dem Sündenfall befindet: anfällig für den Schmerz, Hunger, Durst, sogar für den Tod. Gott wird Mensch, um den Menschen als seine Gottes eigene Schöpfung wiederherzustellen, um die menschliche Schwäche mit Gottes Kraft zu erfüllen, um den Schmerz und den Tod zu besiegen. Und damit den Menschen wieder zu sich zu führen. Der Heilsweg des Herrn beginnt mit der Verkündigung an die Allhl. Gottesgebärerin und erreicht seinen Höhepunkt auf dem Golgota, am Kreuz. Es gibt aber Zwischenstationen. Nach der Taufe im Jordan zieht der Herr in die Wüste und fastet dort. Nach vierzig Tagen des Fastens hungerte es ihn, weil Er wirklich Mensch geworden ist. Einen jeden Menschen hungert es nach längerer Enthaltung von Speisen. In der Schrift heißt sogar es hungerte ihn im äußersten Maße. Der Teufel sieht also einen hungernden und leidenden Menschen vor sich und betrachtet das als eine Möglichkeit, auch diesen Menschen zu versuchen. Der Teufel versucht einen jeden Menschen durch die menschlichen „untadelhaften Leidenschaften“ (wie Hunger, Durst, Angst vor dem Tod etc.). Diese „natürlichen“ Schwächen unserer Natur werden uns, den Menschen nicht selten zum Verhängnis, der Teufel besiegt uns und unterwirft uns durch anfangs harmlose Dinge, wie z.B. der Hunger. Durch unsere willentliche Entscheidungen entwickeln sich aus diesen Dingen nicht selten handfeste Sünden. Der Herr Jesus Christus wurde uns in allem gleich, sündigte jedoch nicht: er litt und es hungerte ihn sehr, er blieb jedoch stets standhaft und beschämte dadurch seinen Widersacher, den Teufel. In der Kirche Christi erhält jeder getaufter Christ von Gott die Kraft, ebenfalls über den Teufel in seinen Versuchungen zu siegen. Aber freilich nicht ohne Kampf. Apostel Jakobus sagt dazu: „Ordnet euch also Gott unter, leistet dem Teufel Widerstand; dann wird er vor euch fliehen“ (Jak 4.7).

2. Diese Stelle (Mk 13.32) sollte im Zusammenhang mit der parallelen Stelle aus dem Matthäus Evangelium (Mt 24, 36) und anderen Stellen aus den vier Evangelien betrachtet werden. Die Kirche glaubt an Christus als an den Sohn Gottes, der die zweite göttliche Person der Allheiligen Dreiheit ist, der vollkommene Gott ist und Fülle der Gottheit besitzt. Und als solcher hat er das Wissen über die Zeiten, denn er ist ja der Schöpfer der Welt und der Zeit. (s. Joh 1.3). Zudem sagt er: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Wie soll man dann die besagte Stelle verstehen? Heiliger Athanasios der Große legt sie so aus: „Man soll Worte Jesu, dass der Sohn die letzte Stunde nicht kennt, als Ihn die Jünger danach fragten, in Bezug auf seine Leiblichkeit verstehen: er sprach diese Worte, um zu zeigen, dass er als Mensch die Stunde nicht kennt, weil die Unwissenheit den Menschen eigen ist. Jedoch ist er auch der Logos (das Wort) und der Kommende, und der Richter und der Bräutigam, so kennt Er als solcher die Stunde, wann er kommt. So wie er als Mensch Hunger, Durst und Schmerz litt, ebenso besitzt Er als Mensch gemeinsam mit den Menschen auch die Unwissenheit. Aber der Gottheit nach, als der im Vater seiender Logos und die Weisheit, weiß Er alles, und es gibt nichts, was Er nicht wüste“.

3. Als orthodoxe Christen verehren wir die Heiligen. Vor allem aber die Allheilige Gottesgebärerin Maria. Es ist jedoch keine Anbetung, denn die Anbetung gilt Gott allein, sondern tatsächlich die Verehrung. Wir rufen die Heiligen als Fürsprecher und Helfer in unserer Not an. Weil wir häufig durch unsere eigene Sünden und Schwächen nicht im Stande sind, den Herrn in einer würdigen und gottgefälligen Weise anzurufen, so bitten wir die Heiligen, sie mögen als Gottesfreunde unser Gebet an ihn herantragen und sich für uns einsetzen. Und das Wunderbare daran ist, dass die Heiligen unsere Bitten hören und ganz real helfen!
Was die Ikonen betrifft, wäre das ein gutes Thema für einen eigenen Beitrag. In Kürze: wir beten auch keine Ikonen(griechisch: Bilder) an, sondern Gott allein! Die Verehrung, die wir z.B. einer Christus-Ikone erweisen, gilt Dem, Der auf dieser Ikone abgebildet ist. Wenn jemand eine Ikone verehrt und küsst, so soll das als ein Ausdruck des aufrichtigen Glaubens und der Liebe zu Gott verstanden werden.

Einen orthodoxen Priester spricht man in der Regel so an: Vater und dann der Vorname des Priesters, z.B. Vater Stephan. Offizielle und schriftliche Anrede wäre „hochwürdiger Vater <Vorname>“.

Eine vollständige deutsche Bibel, die von der Orthodoxen übersetzt wurde, existiert m.W. nicht. Für ein gründliches Studium des Alten Testaments kann man die deutsche Septuaginta empfehlen (Ausgabe 2009, Deutsche Bibelgesellschaft). Was das Neue Testament angeht, kann man durchaus auf verschiedene traditionelle Übersetzungen zurückgreifen.

Bücher zum Thema Orthodoxie gibt es in Deutsch einige. Ich könnte Ihnen auf Anhieb folgende empfehlen (die Liste ist bei weitem nicht komplett, fragen Sie bitte im Forum!):
• Orthodoxie - Was ist das? von Anastasios Kallis
• Geheimnis des Glaubens: Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie, Hilarion Alfejev
• Unser Glaube, von Erzbischof Paul
• Schule des Gebets, von Metropoliten Antonij (Blum)

Heute findet man viele schöne Bücher über Orthodoxie in der deutschen Sprache.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig weiterhelfen.
Priester Andrej
Priester
Beiträge: 2
Registriert: 21.10.2014, 10:40
Religionszugehörigkeit: russisch-orthodox

Re: Viele fragen, aber keine Antworten

Beitrag von Priester Andrej »

Liebe Väter, liebe Brüde und Schwestern!
Die Katechese von Kallis ist in keinster Weise zu empfehlen und schadet mehr als sie nutzt. Sie ist vieler theologischer Unklarheiten und widerspricht in vielen Punkten der orthodoxen pastoralen Tradition.
Es gibt ein kleines Büchlein "Katechese" des Hl. Nikolaus von Serbien, kostet im Verkauf 5 Euro (wird von den serbischen Kirchen vertrieben). Mit kurzen Fragen und Antworten. Sehr, sehr gut.
Jede Antwort ist aber de facto tiefgründig wie ein Bergsee und diese Lektüre bedarf unbedingt des pastoralen Dialogs!
In Christus, Ihr Priester Andrej
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