Ostkirchliches Institut Regensburg hat geschrieben: Heilsames Erstaunen.
Katholische Selbstkritik nach dem orthodox-katholischen Dialog in Belgrad
Einvernehmlich haben die Teilnehmer der 9. Sitzung der Internationalen Orthodox-
Katholischen Gesprächskommission vom 18. ? 24.9. in Belgrad die konstruktive Atmo-
sphäre des Dialogs hervorgehoben. In dieser Situation lässt der?offizielle Protest? aufhor-
chen, den der Vertreter des Moskauer Patriarchats, Bischof Hilarion Alfeyev, Kardinal Kas-
per als dem katholischen Ko-Präsidenten der Kommission gegenüber zum Ausdruck brach-
te. Katholische Pressemeldungen zeigen sich ?erstaunt?, bekunden ?wenig Verständnis?
und melden gar einen ?erneuten Rückschlag? im Verhältnis zwischen Moskau und dem
Vatikan.
Barbara Hallensleben, Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der
Theologischen Fakultät der Universität Fribourg, die als Mitglied der Gesprächskommission
in Belgrad dabei war, beurteilt die Situation anders: ?Der Vertreter des Moskauer Patriar-
chats hat sich mit seinem Protest als ein Anwalt der katholischen Anliegen in der Suche
nach einem gemeinsamen Primatsverständnis erwiesen?, sagte die Theologin gegenüber
der Presseagentur KIPA. Ihrer Meinung nach haben die katholischen Kommissionsmitglie-
der die Tragweite der Auseinandersetzung nicht schnell genug erfasst. Selbstkritisch
spricht sie von einem ?heilsamen Erstaunen?, das zu einem tieferen Nachdenken über die
Wege zur vollen Kirchengemeinschaft führen kann.
Worum geht es? Zum Streitpunkt wurde ein Abschnitt des gemeinsam beratenen
Textes, der über die Autorität Ökumenischer Konzilien spricht. Hier hiess es, dass im
zweiten Jahrtausend Ost und West weiterhin ?Generalkonzilien? hielten, ?die die Bischöfe
der Lokalkirchen in Gemeinschaft mit dem Sitz von Rom oder dem Sitz von Konstantinopel
vereinigten?. Mit Recht betont Bischof Hilarion, dass seit dem 7. Ökumenischen Konzil
von Nizäa 787 kein pan-orthodoxes Konzil stattgefunden habe. Die ?Gemeinschaft mit
dem Sitz von Konstantinopel? sei in der orthodoxen Tradition nie in derselben Weise Kri-
terium der Konzilsfähigkeit gewesen wie im Westen die Communio mit Rom. Konstanti-
nopel nimmt in der Ordnung (taxis) der Patriarchate den zweiten Rang ein und ist seit der
unterbrochenen Communio mit dem Bischof von Rom zu einem ?Ehrenvorrang? unter den
verbleibenden Patriarchaten aufgerückt. Dies bedeutet jedoch weder historisch noch ekkle-
siologisch, dass es sich um einen ?zweiten Primat? handelt, der gleichwertig, wenn auch in
anderer Gestalt neben dem römischen Primat stünde.
Bereits die ?Note? der Glaubenskongregation über den Ausdruck ?Schwesterkir-
chen? hat im Jahr 2000 daran erinnert, dass Formulierungen wie ?unsere beiden Kirchen?
zu vermeiden sind, ?weil sie ? wenn angewandt auf die katholische Kirche und das Gesamt
der orthodoxen Kirchen [...] ? unterstellen, dass es einen Plural nicht nur auf der Ebene der
Teilkirchen, sondern auch auf der Ebene der im Credo bekannten einen, heiligen, katholi-
schen und apostolischen Kirche gibt, deren tatsächliche Existenz dadurch verdunkelt wird?
(Nr. 11). Der Protest des Moskauer Patriarchats enthält denselben Appell: Die katholi-
schen und die orthodoxen Schwesterkirchen in Ost und West sind nicht zwei Kirchen mit
zwei verschiedenen Primaten, sondern sie sind gemeinsam als Schwesterkirchen auf der
Suche nach dem angemessenen Ausdruck ihrer Einheit im Leib Christi.
Das Verhältnis zum Patriarchat von Konstantinopel ist also keineswegs eine ?in-
nerorthodoxe Angelegenheit?, die Katholiken nichts anginge. Denn auch die katholischen
Lokalkirchen erstreben ja die volle kirchliche Gemeinschaft mit den Schwesterkirchen der
Christenheit. Daher war das methodische Vorgehen während der Belgrader Tagung un-
glücklich gewählt: Als die orthodoxen Delegationen in Belgrad zu einer Abstimmung über
die Formulierung der Rolle das Patriarchats von Konstantinopel genötigt wurden, geriet die
Moskauer Delegation, die 70 % der orthodoxen Christen repräsentiert, aber nur über 2 von
30 Stimmen verfügt, in die Minderheit. Bischof Hilarion betonte in der Diskussion, dass
Fragen des ekklesiologischen Selbstverständnisses nicht Gegenstand von Mehrheitsent-
scheidungen sein können.
Vorentscheidungen für den weiteren Dialog wurden nicht getroffen, da aus Zeit-
gründen die Arbeit auf die nächste Begegnung im kommenden Oktober vertagt wurde.
Barbara Hallensleben sieht darin eine Chance, das katholische Selbstverständnis im Dialog
mit den orthodoxen Schwesterkirchen zu vertiefen. ?Der ökumenische Dialog ist immer
zugleich ein ?Dialog der Bekehrung??, sagte sie gegenüber der Presseagentur KIPA. ?Bislang
haben wir in der Kommission unsere Differenzen festgestellt, aber noch nicht selbstkri-
tisch geprüft, ob sie bestehen bleiben müssen und ob ihre Existenz die volle kirchliche
Communio ausschliesst. Hoffentlich werden wir in unserer Arbeit dazu kommen, konkrete
Vorschläge für Wandlungen im Leben unserer Kirchen zu machen?. Kardinal Kasper sagte
zu, die von der russischen orthodoxen Kirche eingebrachten Anliegen in das weitere Ge-
spräch einzubeziehen.
Persönlich äussert sich Barbara Hallensleben sehr dankbar für die Stellungnahmen
von Bischof Hilarion. ?Er hat uns in Belgrad geholfen, unsere wirkliche Situation im Dialog
besser wahrzunehmen. Auch wenn das kurzfristig durch Spannungen hindurchführt, gilt
doch das Wort des Evangeliums: ?Die Wahrheit wird euch frei machen!?? Für die Theologin
ist es wichtig, dass die orthodoxen Kirchen sich wie die katholischen Ortskirchen als wah-
re Kirche Jesu Christi verstehen. ?Das ist kein Hinderungsgrund, sondern geradezu die
Voraussetzung für unsere volle Communio?, betont sie. ?Wir dürfen das Modell der Kir-
chenspaltung des 16. Jahrhunderts nicht auf die orthodoxen Kirchen übertragen, denn sie
sind nicht aus Abspaltungen, sondern aus eigenständigen kirchlichen Traditionen hervor-
gegangen, die sich auf die gemeinsame apostolische Überlieferung zurückführen lassen?.
Prof. Dr. Barbara Hallensleben
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